Nun fehlen nur noch 13 Tage.
Und irgendwie fällt es mir schwer, mir das vorzustellen: in einigen Tage stehe ich plötzlich am anderen Ende der Welt auf einem kleinen Pfad, mitten in der Wüste Kaliforniens. Dann gibt es keinen Stuhl mehr, keinen Tisch, kein Bett, auch keinen Strom und fließendes Wasser. Und ich bin draußen, im Freien dem Wetter ausgesetzt. Und in dem Zustand bleibe ich fast ein halbes Jahr lang!
Ich habe meine Todo-Listen und Vorbereitungen weitestgehend abgeschlossen, ein paar Dinge schiebe ich noch auf "noch nicht". Ich habe meinen Flug, die Erlaubnis, die Zeit, das Geld dafür, die Versicherung Inland und Ausland geklärt, Steuererklärung gemacht und Daueraufträge angepasst, alle Hotels bis ich auf dem Trail stehe, sind gebucht.
Mein Rucksack braucht noch ein bisschen Aufmerksamkeit, ist aber ebenfalls weitestgehend fertig.
So "weit" bin ich auch noch nie gekommen, das letzte Mal, ist 3 Wochen vor Abflug die Corona-Pandemie eingeschlagen und die Grenzen wurden dicht gemacht. Dieses Mal klappt es :)
So einen langen Trail präzise zu planen ist fast unmöglich. Zu viele Dinge können sich ändern und machen Prognosen immer schwammiger, je weiter man plant. Ich versuche daher nur die ersten Tage, bzw. den ersten Abschnitt zu planen. Und die Anreise, sogar ziemlich genau.
Ich komme spät Nachmittag in LA an, da wird es wohl gerade dunkel. Irgendwie muss ich es bin ins Hotel in Downtown LA schaffen, und brauche dann nur noch zu schlafen. Am nächsten Morgen geht's die Straße runter zu einem Telefon-shop, wo ich eine 6 monatige Prepaid-Karte abschließen will. Danach geht's zu "Target", wo ich hoffe sowohl einen Gas-Kanister als auch Essen für 7 Tage kaufen zu können. Falls ja, bin ich durch für den Tag und kann das look & feel von LA ein bisschen auf mich einwirken lassen. Mit meiner neuen unbegrenzten SIM-Karte ein bisschen auf Entdeckungstour gehen :)
Am nächsten Morgen muss ich früh los (Bus fährt um 05:30 Uhr) und die Reise nach Lake Isabella antreten. Hierbei habe ich eventuell ein paar Stunden Aufenthalt in Bakersfield und würde am späten Nachmittag in Lake Isabella ankommen. Dort ist es schon sehr "Wüste". Ich habe mich entschieden, nicht das Motel an der Innenstadt zu nehmen, sondern 8 Meilen weiter aus der Stadt raus, am See ein Zimmer im Lakeview Motel zu buchen. Das sieht super sympathisch aus. Dann kann ich versuchen mich ein bisschen zu entspannen.
Früh am nächsten Morgen soll der Bus dort vorbeikommen, und nach 2 Stunden steige ich aus, drehe der Straße den Rücken zu und stehe am Trailhead in Walker Pass, mein Startpunkt für den PCT.
Von hier geht es dann südwärts, bis zur mexikanischen Grenze (1100 km).
Ich weiß dass sich die Dinge dort im Laufe der Zeit von selbst ergeben werden, auch die Tagesplanung auf dem Handy im Zelt, aber die ersten Tage wollte ich versuchen zu planen, weil mir der Zustand noch so fremd ist. Wie weit bis zur nächsten Wasserstelle und vor allem zu der danach? Wo kann man schlafen? Wie weit schätze ich, komme ich am ersten oder den ersten Tagen?
Alle Punkte des PCT sind mit ihrem "Mile Marker" benannt. Die Entfernung in Meilen vom Startpunkt in Mexiko aus. Das Monument an der Grenze ist also Mile Marker "0". Walker Pass, der Punkt an dem ich starte, hat den Mile Marker ("MM") 652,5. Die nächste Wasserstelle hat MM 644,7.
Tja und da geht das los, eine Meile sind 1,6 Kilometer. Und da ich südwärts laufe (die Amis sagen "southbound" oder nur "SoBo" - im Gegensatz zu "NoBo = northbound"), muss ich die Zahlen voneinander abziehen. Also 7,8 Meilen bis zum Wasser, rechne rechne, 12,5 km! Ok.....die nächste ist dann weitere 20,3 km und die darauffolgende 23,9 km entfernt! Dann kommt dasselbe mit den "camp-spots", den möglichen Stellen zum Zelten. Komplex! Und ich muss mir dringend ein instinktives Verständnis für Entfernungen in Meilen aneignen!!
Dazu kommt die Steigung, die ich noch gar nicht beurteilen kann. In Israel habe ich gelernt, dass ich ein paar Tage brauche, körperlich, bis ich Steigungen erfolgreich bearbeiten kann. Ich starte "unten an dem Highway", aber schon auf 1560 m Höhe, und bevor ich meine erste Wasserstelle erreiche , muss ich hoch auf 2120m Höhe. Und das als "Flachland-Hamburger". vielleicht brauche ich für diese ersten 12 km 5 Stunden! Ob mein Körper da überhaupt mitmacht, so "auf Anhieb", weiß ich noch nicht.
"Einfach drauf loslaufen", werde ich sicherlich bald machen (ist auch viel angenehmer) aber noch traue ich mich nicht, weil wenn ich mich verschätze / verrechne laufe ich das Risiko, kein Wasser zu haben, wenn ich welches brauche.
In dem Sinne geht es schließlich im ersten Abschnitt bis zur nächsten Stadt: Tehachipi, 140 km entfernt. Daher Essen für 7 Tage mitnehmen. Jeder sagt allerdings, dass das am Anfang zu viel ist, dass der Appetit erst später größer wird.
Training, gestaltet sich schwierig. Ich habe immer noch mit Resten einer hartnäckigen Erkältung zu kämpfen und da draußen ist es nasskalt-ungemütlich. Und doch: ich muss dringend Ausdauer & Kraft aufbauen.
Früher habe ich zum Trainieren möglichst lange und große Strecken gemacht (in der Heide, 1 mal wöchentlich am Wochenende). Hier habe ich mich jedoch, instinktiver Weise, für ein alternatives Training entschieden: oft (mind. 3 mal die Woche) 2 Stunden lang "power-hiken", ohne Unterbrechung. Ich glaube, so besser Kraft und Ausdauer aufbauen zu können, und meine Sehnen & Gelenke zu Gewicht und Gleichgewicht beim Laufen zu stärken. Seit heute übe ich nebenbei stündlich meine Oberschenkel.
Insgesamt vermutlich zu wenig (Ich weiß dass die meisten PCT Hiker behaupten, sie bereuen es, nicht vorher mehr trainiert zu haben). Aber es ist, wie es ist.